Foto: epd/Alexander Baumbach
Auch die Wittenberger Luther-Statue hat schon einmal eine Augenbinde getragen. Akademie-Direktor Friedrich Kramer hatte sie ihm aus Protest gegen Antisemitismus umgebunden.
Luther eine Augenbinde anzulegen - was kann so eine Aktion bringen?
Sie rufen zur kritischen Auseinandersetzung mit Luthers massiven Vorurteilen und polemischen Positionen zu den Juden auf. Wirkt sich sein Judenhass bis heute aus?
Meister: Schon Ihre Frage zeigt ja, dass das - in welcher Weise auch immer - der Fall ist. Heute zeigen wir uns lernfähig und kommentieren die Schriften Luthers zu den Juden sehr kritisch. Und die Kundgebung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland 2015 hatte den bezeichnenden Titel "Martin Luther und die Juden - Notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum". Für die Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit nächstes Jahr ist eine weitere Erklärung geplant. Zum Reformationsgedenken gehört eben auch die kritische Auseinandersetzung mit Luthers Schriften und den unsäglichen Wirkungen von Zitaten aus diesen während der Zeit des Nationalsozialismus.
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Was würden Sie anregen?
Meister: Neben der kritischen Aufarbeitung antisemitischer Einstellungen sollten sich die Kirchen für die stärkere Aufnahme des Themas Judentum im Schulunterricht, in Ausbildungen und Fortbildungen einsetzen. Gleichzeitig finde ich es sehr wichtig, dass unsere Gemeinden den Kontakt zu jüdischen Gemeinden aufnehmen oder die vielen guten Beziehungen vertiefen. Wir haben zwar einerseits einen eingeübten christlich-jüdischen Dialog, andererseits stelle ich in Gesprächen immer wieder fest, wie wenig Christen und Juden manchmal voneinander wissen.
Wenn wir auf den Weg schauen, den die Kirchen in ihrem Verhältnis zum Judentum seit 1945 zurückgelegt haben, dann können wir ihn als Lernprozess verstehen. Die evangelischen Kirchen haben ihr Verhältnis zum Judentum theologisch neu bestimmt, jede Form der Judenfeindschaft verworfen und zur Begegnung mit dem Judentum aufgerufen. Ich hoffe, dass solche Lernprozesse in der Breite der Gesellschaft, von Institutionen, Bildungsträgern und Organisationen weiter angestoßen und engagiert vorangetrieben werden. Und zugleich müssen wir unsere öffentliche Stimme laut und klar gegen jede Form des Antisemitismus erheben. Wir stehen untrennbar neben unseren jüdischen Geschwistern.
Theologen aus Hannover wollen der Luther-Statue vor der Marktkirche an diesem Mittwoch in Erinnerung an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 symbolisch die Augen verbinden. Der Reformator Martin Luther (1483-1517) und die Kirche seien blind in ihrer Haltung gegenüber den Juden gewesen, kritisierten die Marktkirchengemeinde und das evangelische "Haus kirchlicher Dienste" in Hannover. Luther habe insbesondere in seinen späten Schriften das Judentum diffamiert und dämonisiert. Am 9. November wird überall in Deutschland an die Zerstörung der Synagogen durch die Nationalsozialisten erinnert.